Sonntag, 14. September 2008

Der zweite Tag und heute bin ich wie ausgewechselt. Ich habe tief geschlafen und nicht mitbekommen, wie meine Zimmergenossin Elvan sich um halb vier morgens raus geschlichen hat, um mit ein paar anderen Muslimen etwas zu essen. Es ist schließlich Ramadan und in Polen wird es ziemlich früh hell, denn wir sind hier ja am östlichsten Zipfel unserer Zeitzone. Dafür dürfen die Muslime ja abends wieder ziemlich früh rein hauen, weil es so früh dunkel wird.

Lange habe ich eigentlich nicht geschlafen, aber ich blieb einfach noch liegen und hab ein bisschen gelesen, auch um Elvan nicht zu wecken, die verständlicherweise versucht, so viel wie möglich dieser hungrigen Tage schlafend zu verbringen. Sie ist aber trotzdem bald aufgewacht. Sie hat so eine angenehme Art, lautlos im Zimmer herumzugehen, und in ihren Sachen rumzufummeln, man merkt kaum, dass sie da ist. Vielleicht kommt das daher, dass sie sich in der Türkei ein Zimmer mit ihrem Bruder teilt und Rücksichtnahme deswegen gewohnt ist. Da muss ich mir mit meiner polterigen deutschen Kumpelhaftigkeit wohl noch eine Scheibe abschneiden, denn nur weil man sich im selben Zimmer aufhält muss man ja nicht pausenlos miteinander reden oder ähnliches.

Nach dem Aufstehen habe ich auf dem Balkon einen Tee getrunken, denn die Sonne war richtig schön warm. Dann hat mir Elvan Fotos von Zuhause gezeigt. Jetzt weiß ich, dass sie Kinder und Babytiere mag, außerdem Bäume und italienische Schnulzen, die von Amore handeln, ihr Bruder hingegen mag Formel 1. Außerdem kenne ich mich in türkischen Hochzeitsriten aus und könnte traditionelle Tänze mit tanzen, wenn ich irgendwann mal in der passenden Situation sein sollte.

Mittags haben wir uns mit noch drei ihrer türkischen Freunde auf den Weg zum japanischen Garten gemacht. Irgendwie wurde ich schwups zum Touristenführer ernannt, weil ich Polnisch kann und außerdem als einzige einen Stadtplan habe. Vorm Wohnheim ist irgend woher noch ein Junge aus den USA aufgetaucht und einfach mal mitgekommen. Im Verlauf des Tages hat sich meine Befürchtung, dass ich irgendwie alt bin, bestätigt: Die meisten sind gerade 20 geworden und freuen sich, endlich der Obhut ihrer Eltern entkommen zu sein. Kann sein, dass es gerade für die Mädels aus der Türkei schön ist hier von der Leine gelassen zu sein, aber das ist auch wieder nur so eine auf blanken Vorurteilen basierende Vermutung.

Während die anderen nach unserer Japanischer-Garten-Tour (die übrigens sehr schön wahr, aber nicht jeder teilt meine Leidenschaft für künstlich drapierte Landschaften, also spare ich mir weitschweifige Ausführungen) in eine Shopping-Mall gegangen sind, um die essentiellen Dinge zu kaufen – Becher, Topf, Wasser, Brot – bin ich aufs Zimmer gegangen, denn ich hatte ja in deutscher Ordnungsliebe alles schon am Tag der Ankunft erledigt. Dann habe ich mir einen Tee in meinem einen Topf gekocht und ihn aus meiner einen Tasse getrunken und wäre dann beinahe eingeschlafen. So neu ist alles hier, dass ich immer gleich total geschafft bin. Da sich der Himmel gerade wieder zuzieht habe ich auch nicht unbedingt den Drang draußen herumzulaufen. Runter in den Supermarkt werde ich aber wohl doch noch müssen, wenn ich nicht nur von Würfelzucker und Bier leben will (wobei das sicherlich nicht die schlechteste Art zu leben ist). Weitere Pläne für heute sind: Abends auf den rynek (Marktplatz) gehen, und dort in einem Café mit Wireless Net an meinem schönen neuen Blog rumbasteln. Da trinke ich dann was leckeres und wenn es dunkel ist kommt vielleicht Elvan mit, denn darf sie ja auch was leckeres haben. Schon lustig, einer der Muslime jammerte heute am Teich im Japanischen Garten: „So viel Wasser und ich darf nichts davon trinken.“, dabei standen wir an einem grünlich-klebrigen Ententümpel. Ich hab dann über Kopf in eine Art Kanal-Loch, aus dem das Wasser fließt, hinein fotografiert, um ihm den Appetit zu verderben, was auch geholfen hat, denn das Wasser wollte er dann zumindest nicht mehr.

Worauf ich aber hinaus wollte: Abends sind die Ramadan-Leute um so lustiger, weil sie sich ja schon den ganzen Tag darauf freuen, dass sie bei Dunkelheit wieder essen und trinken dürfen und das scheint eine gesellige Stimmung wach zurufen. Auch Elvan ist gestern erst in der Dunkelheit aufgetaut und hat ein bisschen von sich erzählt (zum Beispiel, dass sie Literatur studiert, wie schön!).


PS: Gestern Abend habe ich mich kurz vorm zu Bett gehen noch ein mal schriftlich ausgelassen, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich das posten will. Was da steht ist schon verwirrt genug. Aber so ging's mir gestern wirklich, ich war ganz durcheinander. Heute geht alles schon viel besser.

Noch ein PS: Elvan hat mich eingeladen, mit ihr und ihren Freunden zu Abend zu essen. Das war erstens nett von ihr und zweitens spannend für mich, weil ich noch nie bei einem Ramadan-Abendessen war. Ich bin dann also mit meiner Gabel und meinem Becherchen angerückt. Erst mussten wir ein wenig warten, denn es musste genau 19.20 Uhr sein. Das war ein bisschen wie Weihnachten, wenn man auf die Bescherung wartet. Als es dann endlich soweit war, gab es Suppe aus Paprika und irgendwas anderem. Danach gab es geschmorte rote Paprika mit vielen Zwiebeln, dazu Brot, Sesamgebäck das mit Schafskäse gefüllt war, Oliven, Tomaten und danach einen echten türkischen Kaffee. Leider konnte keiner die Zukunft aus dem Kaffeesatz vorhersagen, aber Esra, der einzige Junge in der türkischen Clique, hat es trotzdem versucht. Ich werde in zwei Jahren heiraten und eine neue Übersetzung von Harry Potter schreiben, die viel erfolgreicher wird als die erste. Zuvor allerdings hatte er mir noch geraten, dass ich den Kaffee am besten wie einen Tequila trinken soll, und ich bin nur knapp dem Erstickungstod durch Kaffeesatz im Hals entronnen. Ich nenne seinen Humor mal subtil, er verzieht keine Miene, wenn er solche Witzchen macht. Nach dem Abendessen habe ich dann alle anderen Auslandsstudenten auf einer Welcome-Party getroffen, die von zwei Jungs aus Deutschland organisiert war. Obwohl organisiert zu viel gesagt ist, jeder hat sich einfach etwas zu trinken mitgebracht und sich ins Zimmer gestellt, und dazu lief dann Musik. Aus irgendeinem Grund brannte kein Licht, weswegen wir im Stockfinstern herum standen. Aber lustig war es auf alle Fälle. Hier eine kleine Liste der Leute, die ich am nettesten fand: Jowana aus Georgia, USA. Mit ihr werde ich, denke ich, häufiger etwas unternehmen, einfach weil wir uns so gut verstanden haben. Dann war da noch Reagan, ihre Mitbewohnerin aus North Carolina, glaube ich. Reagan war schon mal für ein halbes Jahr in der Schweiz und spricht Schwitzerdütsch mit amerikanischem Akzent, ich habe noch nie etwas so witziges gehört!

Dann habe ich natürlich den unvermeidlichen Typen aus Deutschland kennen gelernt, der „in so einem Kaff bei Gliwice, das keiner kennt“ geboren wurde. Natürlich Pyskowice, wo ich ja auch geboren bin. Ich hab doch schon immer gesagt, dass alle Kinder da her kommen! Dann noch einen Sowi-Studenten aus Bochum und dessen Zimmergenossen Pawel, der aus Prag kommt und aus irgendeinem Grund hervorragend deutsch spricht. Die Party wurde dann irgendwann aufgelöst, als die Gastgeber in die Altstadt abzogen, um richtig einen drauf zu machen. Ich hab mich weiter mit dem Bochumer und Pawel unterhalten und dann irgendwann bin ich ins Bett gegangen.

Heute bin ich nicht gerade ausgeschlafen, erstens, weil es doch eine sagen wir mal recht ausgelassene Feier war und zweitens, weil es im Zimmer morgens immer total hell ist, weil wir nichts zum verdunkeln haben. Ungewohnt für mich, aber ich werde mich schon daran gewöhnen.


5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

boah katha. ich hab es nicht gelesen, es ist zu viel text. ich riskiere mein augenlicht.

kannste nicht lieber so videos wie micha online stellen? auch ok: sone zusammenfassung am ende in stichpunkten.

liebe grüße
janusz

p.s. achja tschau und viel spaß

Anonym hat gesagt…

jetzt hab ich es doch gelesen. meine augen brennen und tränen und ich habe das gefühl, ich müsste eine deutschlehrerin anrufen und ihr von meinem erfolg erzählen - es hat auch relativ lange gedauert. ich musste trink und toilettenpausen einlegen.

naja, bring zum nächsten ramadanschmaus viel bier mit und zeig denen mal, wie du wirklich bist - haha.

p.s. ich komm aus tarnowskie gory ;)

Anonym hat gesagt…

Hey katha. hört sich ja bis jetzt alles spannend an. wann kann man denn am besten ma per icq mit dir reden? Gruß Michael

anna da spanna hat gesagt…

dazu fällt mir nur eine sache ein: are you crazy???" denn ich hatte ja in deutscher Ordnungsliebe alles schon am Tag der Ankunft erledigt!"
du? ordnungsliebe?!?!?! gehts noch? ich würde sagen "polnische-schusseligkeit!"

Anonym hat gesagt…

geschafft!!
war doch nicht so schlimm wie ich dachte.. aber wenn du so weiter machst, haste in den paar monaten nen roman fertig..
und dieses schwitzerdütsch mit
ami-akzent will ich auch ma hören..
also, heimlich aufnehmen bitte!!
viel spass und gutn8!
EMiL